Wenn ein
geliebter Mensch für immer geht, ist das eine Tragödie. Es bleibt eine Lücke
zurück, die so nicht mehr zu füllen ist. Das ist uns allen bewusst. Doch das
Gefühl, das sich in uns ausbreitet, ist nicht nur nagende Trauer, sondern
zugleich Resignation vor der Willkür des Lebens. Diese Allmacht des Lebens
führt im ersten Schritt nicht zu einer Art Gleichmut, sondern läßt das Leben
sinnlos erscheinen. Wohl dem der einen tiefen Glauben besitzt. Natürlich
verändern sich in diesem Moment die Lebenswerte. In der Natur mit ihrer
Unschuld und Schönheit findet man Trost und Ruhe. Freunde bieten wichtigen
Halt, doch die eigene Bedeutungslosigkeit in unserem kleinbürgerlichen Leben
wird uns vor Augen geführt, drängt sich auf, zementiert sich im Gedächtnis. Wer
Irja näher kannte, ahnt, welche Leere sie hinterlässt. Sie war
zweifellos eine große Bereicherung für uns, eine kostbare Perle, die wir mitten
unter uns hatten. Unglaublich wie sie uns stets mit Freude und Offenheit
begegnet ist und uns oft zum Nachdenken und Schmunzeln brachte. Sie war ein
außergewöhnlicher Mensch mit einem ausgeprägtem Gespür für die Situation. Ihre
strahlende Aura hat auch während ihrer Krankheit nichts verloren. Sie war ein Phänomen.
In ihren letzten
wachen Stunden saß ich mit ihr lange auf der sonnigen Terrasse. Sie war
klar und hat unentwegt gesprochen. Ihr Lebenswille schien, obwohl körperlich
schon sehr strapaziert, spürbar ungebrochen. Als sich am Spätnachmittag die
Pfarrerin etwas beiläufig zu uns setzte, hat sie auf ihre bekannt ruhige Art
ihr schweres Herz erleichtert (nachdem sie gegenüber der Pfarrerin eingangs
klar stellte, dass sie, wenn überhaupt, eher am buddhistischen Glauben etwas
finde). Als sie so sprach, bemerkte Irja die Lederstiefel der Pfarrerin, lobte
diese und wies dann auf ihre auffälligen Stiefelspitzen hin, die sich gut
eignen, Menschen, die mit dem Gesicht im Matsch liegen, umzudrehen. Wie oft
mußte sie sich mit dem Gesicht im Matsch liegend wieder und wieder aufrichten.
Die abwartende Pfarrerin entgegnete nichts. Was auch. Bei solch einem
Lebensschicksal, das vor rund 25 Jahren mit der Krebskrankheit des Vaters
begann und nie wirklich endete. Auch vom plötzlichen Tod unseres kleinen
Chihuahuas Emili wenige Wochen zuvor wurde sie nicht verschont. Mittlerweile
erkenne ich, dass sie mit erhobenem Kopf in die andere Welt ging. Sie behielt
ihren Stolz und ihre Tapferkeit bis zuletzt, obwohl ihr bewusst war und auch
äußerte, dass ihr nur noch wenige Tage blieben. Es war Freitag der 07.
März.2014. Sie löffelte Vanilleeis mit Kaffee und ich hoffe sehr, der Geschmack
klebte noch lange an ihrem Gaumen. Ein strahlendes Lächeln fiel plötzlich über
ihr Gesicht als die fette Hospizkatze vorbeischlenderte und Irja mit einem
Finger auf sie deutete. An diesem herrlichen Sonnentag rauchte sie fast endlos
Zigaretten und wollte gleich gar nicht mehr ins Zimmer zurück, so sehr genoss
sie das Draußensein bis nach Sonnenuntergang. So scherzte sie, als wir
drei ausgekühlt ins warme Zimmer zurückkamen „hm, jetzt sterbe ich noch an
einer Lungenentzündung“. So war sie, unsere Irja. Stets einen markanten Spruch
auf den Lippen. Kurze Zeit später fiel sie in einen langen, tiefen Schlaf und
wurde nicht mehr wirklich wach. Sie ist wohl mit einem Lächeln von dieser
Welt gegangen, das ist zutiefst tröstlich. Irja hat uns kurz nach Mitternacht
am Neunten März für immer verlassen.
Eine
Freundin mit Erfahrung in der Sterbebegleitung erwähnte Tage später: „Es
gelingt nicht jedem sanft in die andere Welt zu gleiten. Das ist ein Geschenk
an Irja und womöglich ein allerletztes Geschenk von Irja an uns.“
Am
22.März.2014 haben wir unsere liebe Irja im Beisein all unserer Freunde
würdevoll verabschiedet. Eine kleine Tafel an Irjas Baum 595 im FriedWald
Schönbuch erinnert an sie.
Liebe Irja, im Innersten bin ich allein, Du fehlst mir sehr. Wir hatten eine schöne gemeinsame Zeit, auch wenn sie von Widrigkeiten durchsetzt war, wir haben uns immer wieder köstlich amüsiert und rege ausgetauscht, ja das haben wir. Du hast mich für mein weiteres Leben geformt, im Guten. Ich werde Dich nicht vergessen. Im Alltag und unterwegs wirst Du mir immer und immer wieder begegnen. Du hast mir ja so manche Phrase ins Ohr gesetzt. Deine Art von Ohrwurm eben.
In tiefer Verbundenheit, Dein Steffen