Donnerstag, 10. November 2011

Gesundheits- und Befindlichkeitsreport November 2011 (formerly known as Mein aktueller Gesundheitszustand Monat/Jahr)

 
Manche Fragen lösen sich dadurch, dass man sie einfach aussitzt wie Helmut Kohl seine Spendenaffäre. Mein Aussitzen, allerdings bedingt durch eine Entscheidungsschwäche, hat mich zu der Entscheidung gebracht, vorerst (auch wenn das Wort angesichts meiner Lebensphase merkwürdig klingen mag) kein Antidepressivum zu nehmen, sondern es (vorerst) einfach laufen lassen. Und jetzt traue ich dem Frieden langsam doch. Wenn ich möchte und falls es zufällig ein Mythos sein sollte, dass man Medikamente mehrere Jahre nach dem Ablauf des Haltbarkeitsdatums nicht mehr verwenden sollte (hab noch welche von vor sechs Jahren), kann ich ja immer noch jederzeit damit anfangen. (Oder mir neue verschreiben lassen, aber die schwäbische Aufbrauchmentalität hat mich wohl mittlerweile infiltriert.) Dieses Wissen scheint mich ebenfalls bei der Stange zu halten und meine Entscheidungsschwäche angenehm zu stützen.

Erstaunlicherweise habe ich mehrere ermutigende Briefe auf meinen diesbezüglichen Blogbeitrag bekommen. Man muss Antidepressiva heutzutage also gar nicht unbedingt verteidigen. Eher muss man sich erklären, wenn man mit dem Gedanken spielt, welche zu nehmen und es dann doch nicht tut – so wie ich, die ich ja anscheinend zu der absolut berechtigten Zielgruppe gehöre. Die Erklärung lautet wie folgt und wie schon mal gesagt: Ich möchte alles mitnehmen, und meiner Erfahrung und Erinnerung nach fehlen mir mit Antidepressiva, und seien sie noch so sanft und geringdosiert, die Spitzen in der elektrischen Kurve, die mein Hirn und/oder meine Seele produzieren. Diese Spitzen lehren mich aber am meisten, und ich möchte lernen und fühlen, bis ich sterbe bzw. noch einigermaßen interessiert und aufnahmefähig bin.

Völlig anders verhält es sich allerdings mit Schmerz. Siehe dazu den Extrabeitrag, den ich demnächst reinstellen werde. Das Thema ist so umfangreich und beschäftigt mich so sehr, dass ich das hier unmöglich unterbringen kann, aber da ich beim Schreiben oft mit mir selbst debattiere (diese verdammte Dialektik!), komme ich nicht umhin, gerade hier einzuwerfen: „Tja, alles mitnehmen wollen, aber was ist mit Schmerz? Der gehört auch zum Leben!“. Und weil die Dialektik besonders nervig ist, wenn man sie gegen sich selbst verwendet, um ja eine klare Aussage zu vermeiden oder zu relativieren, die ansonsten keiner in Frage stellen würde, sage ich: Was kümmert mich mein Geschwätz von vor drei Sekunden, hier ist der Beitrag.

Also. 
Schmerz 
Oder besser: Schmerz nicht im Allgemeinen, sondern unter besonderer Berücksichtigung des Mitnehmens

Ja, ich möchte zwar alles, was das Leben zu bieten hat, mitnehmen. Aber mit Schmerz verhält es sich völlig anders, den kille ich gerne und bei Bedarf rigoros. Da es mittlerweile keinen Körperteil an mir gibt, der nicht in irgendeiner Form mit Schmerz konfrontiert worden ist, gibt es da nichts mehr zu lernen für mich. Im Gegenteil: Zu viel körperlichen Schmerz macht dumm, weil es die geistigen Kapazitäten bindet, von den körperlichen selbstredend ganz abgesehen. Und falls es doch was zu lernen gäbe oder ich einen Körperteil nicht berücksichtigt oder eine Eigenschaft des Schmerzes nicht kennengelernt haben sollte (bohrend, stechend, stumpf, scharf, wellenartig, pochend etc. etc. scheiden also schon mal aus), sterbe ich gerne ohne dieses Zusatzwissen, was unter Umständen schmerztechnisch noch alles möglich wäre.

In diesem Zuge möchte ich gerne auch mit einem Satz aufräumen, der irgendwann für so schön und schlüssig befunden wurde, dass er im allgemeinen gesellschaftlichen Konsens energisch abgenickt wurde:
„Seelischer Schmerz ist schlimmer als körperlicher Schmerz“.
Ich sage darauf: „Mitnichten“. Zumindest lebt man mit seelischen Schmerzen unter Umständen länger. Wer jetzt sagt: „Dann wissen Sie nicht, was seelischer Schmerz ist“, dem antworte ich schon wieder: „Mitnichten. Sehr wohl weiß ich das“. Und seit meiner fatalen Thailandreise weiß ich, dass zu lange ausgehaltener und eigentlich unerträglicher körperlicher Schmerz in relativ kurzer Zeit töten kann. Viel hat damals jedenfalls nicht gefehlt. Und mit „unerträglich“ meine ich keine Schmerzen, mit denen man noch in der Lage ist, sich ein Sterberecht einzuklagen oder sich – zumindest selbständig – auf die Gleise zu legen. Oder die Dachterrasse eines Hochhauses aufzusuchen und ähnliches. Wer meine Aussage noch nicht verstanden hat: Das alles kann man mit seelischen Schmerzen sehr wohl. Mit schrecklichen seelischen Schmerzen kann man sogar jahrelang so tun, als ob man keine hätte. Wer immer noch nicht folgen kann, dem sei gesagt: Auch das kann man mit entsprechenden körperlichen Schmerzen nicht. Und um nicht nur noch mal in diese Kerbe zu schlagen, sondern sie mit einem Taschenmesser richtig auszuhöhlen: Wer sich vor Schmerz windet, wird selten darüber nachdenken, endlich mal eine Psychotherapie zu beginnen, um seine seelischen Probleme in den Griff zu bekommen. Der hat nur einen Gedanken, nur eine Priorität. Welche das ist, müsste nun auch ohne Taschenmesser klar sein.

Und damit wären wir am Ende unserer an sich fast beliebig erweiterbarer Beweiskette. Zumindest solange wir nicht anfangen, zum Beispiel völlereibedingte Magenschmerzen mit dem seelischen Schmerz missbrauchter Kinder oder mit dem der Eltern eines verschwundenen und/oder ermordeten Kindes zu vergleichen (in meinen Augen die schlimmsten Formen seelischer Schmerzen), oder andersherum: einen Migräneanfall zu vergleichen mit mieser Laune aufgrund des chronisch fehlenden Sommers. Obwohl ich zugeben muss, dass es mich nun reizen würde, zwei an Maslow angelehnte Schmerzpyramiden zu erstellen. Was allerdings viel sinnlose Arbeit bedeuten würde und deshalb durch mich unerledigt bleibt.

Ich hätte allerdings noch einige andere Postulate dieser Art, deren Schönheit und demzufolge scheinbare Schlüssigkeit mir auf den Keks gehen und auf die ich deshalb gerne mit einem „Mitnichten“ antworten möchte, unter anderem weil mir dieses Wort gerade so gefällt, aber vielleicht ein andermal. Sonst muss ich hier noch weitere selbständige Beiträge einflechten. Und hätte wieder mal am Thema bzw. Überschrift vorbeigeschrieben.

Zurück zum Gesundheits- und Befindlichkeitsreport, der jetzt so heißt, weil 1) mir „Mein aktueller Gesundheitszustand“ als Rubrik eigentlich von Anfang an irgendwie komisch vorkam; wenn ich dies aber nicht explizit formuliere, würden mich besorgte Leser oder Flüchtigleser hinter den Kulissen fragen: „Aber wie geht es Ihnen gesundheitlich im Moment, darüber erfährt man in Ihrem aktuellen Beitrag nichts?“ und 2) ich kürzlich irgendwo wieder etwas Verächtliches über Befindlichkeitsblogs und –getwitter gelesen habe. Zwar ging es dabei um Themen wie „Heute hab ich schlechte Laune“, aber um mich über den Verdacht zu erheben, ich führte ein reines Befindlichkeitsblog, springe ich einfach auf diesen Zug auf, um ja jedem klar zu machen, dass ich mich durch Ironie von so etwas distanzieren will. Ob es mir auch in der Praxis gelingt, darüber zu urteilen sei jedem selbst überlassen.

Meine Befindlichkeit hat momentan also ein A-Rating, wenn nicht gar AA-Rating. Ich habe momentan jedenfalls überhaupt keine Schmerzen, oder höchstens welche der zu vernachlässigenden Sorte. Ich habe auch keine Depression - nicht mal die Tatsache, dass der Kelch, der seit ein paar Monaten in einem 30-Grad-Winkel über mir hängt und mir dadurch fast eine Depression bescherte, dass dieser Kelch am Montag tatsächlich über meinem Kopf ausgeschüttet wird, macht mich momentan wirklich fertig. Will sagen: Die werden nächste Woche im Krankenhaus tatsächlich an meine Lebermetastasen rangehen, wie schon dreimal zuvor, nur ist es diesmal etwas kniffliger. Und will noch sagen: Nicht mal das macht mich wirklich fertig, mir scheint es also psychisch recht gut zu gehen, auch ohne Antidepressiva.

Das Hirn ist nämlich ein so wunderbares Organ: Selbst äußerst unangenehmen, gar traumatischen Erinnerungen stülpt es irgendwann einen Pontscho über, der zwar löchrig ist, aber doch vieles verdeckt. So sehe ich der Sache mittlerweile pragmatisch und fast gelassen entgegen, zumindest darf es im Krankenhaus nach den üblichen gründlichen Voruntersuchungen nicht heißen: „Nicht operabel, auf Wiedersehen. Beziehungsweise eben nicht auf Wiedersehen, sondern leben Sie wohl. Beziehungsweise… äh, Sie verstehen schon.“ Ich hoffe also, dass sie operieren können und dass es auch gut geht. Was danach ist – zu erwarten ist, dass es noch ätzender wird als je zuvor -, soll heute noch nicht meine Sorge sein. Am Montag dann.

Mit einiger Überraschung stellte ich kürzlich fest, dass es die vierte RFA (Radiofrequenzablation) innerhalb von 16 Monaten ist, also im Schnitt alle vier Monate eine. Danach jedes Mal wochenlange Rekonvaleszenz, und trotzdem kommt mir die Zeit, die ich dadurch gewonnen habe und die ich auch genießen konnte, so lang und reich vor. Zwar fühle ich mich aktuell so fit, dass es fast schade ist, diesen Zustand durch den Eingriff für viele Wochen wieder zunichte zu machen, aber das ist selbstverständlich gesponnen, reines Luxusdenken. Also auf zur vierten RFA!

Mittwoch, 9. November 2011

Lesung


Noch später und dadurch werbemäßig wohl noch weniger wirksam hier noch schnell der Hinweis, dass ich übermorgen, am Freitag um 19:30 Uhr in Mössingen in der Tonnenhalle im Pausa-Quartier lese bzw. erzähle und lese. (Nächstes Mal mache ich meine entsprechende Ankündigung wahrscheinlich eine Woche nach der Veranstaltung). Keine Sorge, ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht der Raum ist, in dem die Mülltonnen bis zur Entleerung aufbewahrt werden.

Dauer steht nicht fest, aber so wie ich mich kenne, kommt da keiner vor zwei Stunden wieder raus, hängt allerdings auch von der Menge der Fragen am Ende ab. Ob eine Pause eingeplant ist, muss ich noch erfragen - gut, dass wir gerade darüber sprechen. Letztes Mal ist jedenfalls niemand in der Pause gegangen, das bewerte ich so, dass ich eigentlich ruhig noch eine Stunde dranhängen kann. (Wieder: Keine Sorge, mach’ ich nicht, aber letztes Mal hörte ich von mehreren Zuhörern, dass sie die Zeit völlig vergessen hätten. Ich übrigens ebenso. Also wenn Sie auf den Zug müssen, dann stellen Sie sich ruhig den Handyreminder oder wie das auf Deutsch heißt. Wir sind bei mir ja nicht im Kino.)

Herzlich willkommen jedenfalls. Hoffentlich habe ich bis Freitag wieder eine Stimme, momentan krächze ich recht unansehnlich. (Oder heißt es dann unanhörlich oder was.) Wird aber sicher wieder, Ingwertee ist wirklich gut, danke, Sabine, das mache ich jetzt täglich, ob du es glaubst oder nicht, die Knolle ist fast schon weg. Und bevor ich jetzt noch neue Vorschläge bekomme: Primel und Thymian nehme ich auch, und noch einiges andere, vielen Dank. Ich freue mich jedenfalls drauf – auf die Wiederkehr meiner Stimme und auf die Zuhörer. Ich glaube, das wird für alle Beteiligten wieder eine schöne Sache.